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Der sichere Babyschlaf

Aktualisiert: 26. März

Eine Einordnung der neuen S1-Leitlinie zur Prävention des Plötzlichen Säuglingstods und dem sicheren Babyschlaf im Familienbett.

schlafendes Baby auf dem Rücken liegend Symbolbild Babyschlaf Schlafberatung

Im Februar 2023 wurde die neue S1 Leitlinie zur Prävention des Plötzlichen Säuglingstods (SIDS - Sudden Infant Death Syndrome) veröffentlicht. Und puh… ich musste ehrlicherweise erstmal schlucken. Es ist gut, dass die Leitlinie regelmäßig überarbeitet wird und sich an aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen orientiert - ohne Frage. Auch ich halte mich in meiner Beratungstätigkeit an die geltenden Empfehlungen. Zum einen haben sich die Inhalte als Präventionsmaßnahmen bewiesen, zum anderen schon um mich rechtlich abzusichern.


Lange habe ich überlegt, wie ich die Leitlinie und mein Bauchweh mit ihr in Einklang bringe. Und ich glaube, ich habe einen Weg gefunden.

Die Kritik an einigen Punkten der Leitlinie, im speziellen die Empfehlung zum sicheren Babyschlaf und dem Einsatz des Schnullers, übe nicht nur ich. Auch Fachpersonen wie z.B. Dr. Herbert Renz-Polster hat sich sehr besonnen zu einem Teilthema geäußert (1, 2).


An dieser Stelle ein kleiner Hinweis: Die Zahlen in Klammern (1) verweisen auf die jeweilige Quelle am Textende.

Doch jetzt erst einmal ganz von vorne.

 

Was ist SIDS?

Der SIDS beschreibt den unerwarteten Tod eines gesunden Säuglings. Er kann bei Kindern in den ersten zwei Lebensjahren auftreten, betrifft meistens jedoch Säuglinge zwischen zwei bis vier Monaten. Das Risiko liegt aktuell bei rd. 0,02% und ist weiter rückläufig.

Auf Grundlage der Risikofaktoren wurden Empfehlungen herausgearbeitet, und in regelmäßigen Abständen (ca. alle 5 Jahre) von Experten überarbeitet. Die Mitglieder der Expertenrunde 2022 wurden von den Vorständen der DGSM, DGKJ, GNPI, DGGG und der GEPS Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland ernannt (3).

 

Die aktuellen Empfehlungen (4)

  • Das Kind soll in Rückenlage auf einer festen und horizontalen Unterlage schlafen.

  • Tagsüber soll das Kind in Wachphasen immer mal wieder in Bauchlage verbringen, um die motorische Entwicklung zu fördern und einer asymmetrischen Kopfform vorzubeugen.

  • Vermeiden von Überwärmung. Ideal ist eine Raumtemperatur von 18 Grad Celsius und die Verwendung eines Schlafsackes.

  • Verzicht auf Kopfkissen, Fellunterlagen, Nestchen, gepolsterte Bettumrandungen und größere Kuscheltiere.

  • Das Kind sollte nicht fest eingewickelt („gepuckt“) werden.

  • Das Kind soll im elterlichen Schlafzimmer, jedoch im eigenen Kinderbett schlafen. Das gilt vor allem für die ersten 6 Monate. Kinder von Rauchern sind besonders gefährdet, wenn sie mit im elterlichen Bett schlafen.

  • Auf eine rauchfreie Umgebung, auch während der Schwangerschaft, sollte geachtet werden.

  • Stillen im 1. Lebensjahr, möglichst mindestens 4-6 Monate

  • Der Schnuller sollte angeboten werden (kein Zwang, z.B. auch keine Re-Platzierung beim schlafenden Kind).

Das Schlafen im Familienbett wird hier nicht empfohlen und auf aktuelle Empfehlungen der Amerikanischen Gesellschaft für Kinderheilkunde verwiesen (AAP, American Academy of Pediatrics).

 

Woher also nun mein Bauchweh?

In den Studien ist von "Bedsharing" und "Cosleeping" die Rede. Hier ist es wichtig zu klären, was diese Begriffe bedeuten. Denn leider werden sie häufig nicht differenziert genug betrachtet. Unter Cosleeping verstehen die Forscher, dass Eltern und Säugling in unmittelbarer Nähe zueinander, aber nicht unbedingt auf der gleichen Fläche schlafen. Dies könnte also auch die gemeinsame Nutzung eines Zimmers mit dem Kinderbett in der Nähe des Elternbettes oder das Schlafen von Eltern und Kindern auf benachbarten Matratzen umfassen.

Das Bedsharing hingegen ist eine Unterkategorie des Cosleeping und sollte auf die gemeinsame Nutzung des Bettes von Eltern und Kind beschränkt werden. Die Krux ist jedoch, dass in einigen Studien auch Sofas oder andere Schlafflächen unter Bedsharing zusammengefasst wurden (5). Dabei spielt es eine erhebliche Rolle, Wo, mit Wem, Wann und Wie das gemeinsame Schlafen von Erwachsenen und Kindern erfolgt.

 

Das sagen die Verhaltensbiologen und anthropologischen Forscher

Es mag vielen vielleicht ausgelutscht vorkommen, doch es lohnt sich immer wieder der Blick in unsere evolutionäre Geschichte und unser stammesgeschichtliches Erbe.


Vor 55 Millionen Jahren lebten die ersten affenartigen Tiere. Vor all diesen Millionen von Jahren haben sich unsere Bedürfnisse nach Nähe, Sicherheit und Körperkontakt genetisch verankert und sich die Spezies zum Tragling entwickelt.

Es gibt drei verschiedene Jungentiertypen: Nestflüchter (z.B. Pferde: sie sind nach der Geburt quasi „fertig“ und schnell mobil, um mit dem Muttertier bei Gefahr fliehen zu können. Die Sicherheitsbasis ist i.d.R. das Muttertier), Nesthocker (z.B. Hunde: kommen unreif zur Welt und reifen postpartum nach. Die Jungtiere sind immer wieder für lange Zeit auf sich gestellt. Die Sicherheitsbasis ist hier das Nest.) und Traglinge. Traglinge kommen relativ reif zur Welt. Das Seh- und Hörvermögen ist schon (teilweise) ausgreift, es kann sich jedoch nicht eigenständig mit dem Muttertier bei Gefahr fortbewegen und wird, wie der Name schon sagt, getragen. Es wird hier im Übrigen noch zwischen aktivem (z.B. Primaten) und passivem Tragen (z.B. Beuteltiere) unterschieden. Die Sicherheitsbasis ist das Muttertier bzw. das betreuende Tier.

Mutter bei der Ernte trägt Kind auf dem Rücken Symbolbild für Tragling Stillberatung Schlafberatung Bindungswerk

Vor etwa 20 Millionen Jahre konnten die ersten Primaten nachgewiesen werden und erst vor 8 Millionen Jahren trennten sich die evolutionären Wege von Primat und den ersten Menschen. Seit 55 Mio. Jahren lebt unser Nachwuchs an und auf uns - auch unsere Säuglinge.

90% unserer Menschheitsgeschichte waren wir Jäger und Sammler - wir sind es sogar heute noch. Diese Lebensweise machte ein körpernahes Lebensumfeld für unseren Nachwuchs notwendig - sowohl am Tag als auch in der Nacht (6).


Die Vorteile des gemeinsamen Schlafens in einem Bett für das Stillen im Allgemeinen, die Bindung, Milchbildung, Stilldauer und Entwicklung des Säuglings sind hinlänglich bekannt. Davon abgesehen, dass es evolutionär total Sinn macht.


Es gibt Studien, die in verschiedenen Schlafsettings (schmales Krankenhausbett, großes Bett im Schlaflabor und verschieden große Familienbetten zu Hause) beobachten konnten, dass stillende „Mutter-Kind-Dyaden“ ein konsistentes Schlafverhalten zeigten: die Mütter schliefen in Seitenlage, mit dem Gesicht zu ihrem Kind und rollten sich quasi drumherum - die Säuglinge schlafen auf Höhe der mütterlichen Brust, der Arm der Mutter liegt über dem Kopf und die Knie an den Füßen des Säuglings ("Cuddle curl)".

Mutter und Baby schlafen Symbolbild Familienbett Stillberatung Schlafberatung Bindungswerk

Die kumulativen Ergebnisse dieser Studien zeigen ein solides Verständnis des Stillverhaltens beim bedsharing und es liegt nahe, dass die charakteristische Schlafposition der Mütter ein instinktives Verhalten der stillenden Mutter darstellt, um ihr Baby während des Schlafes zu schützen (7, 8).


Es wurden bei formulaernährten Säuglingen und ihren Müttern tatsächlich Unterschiede im Schlafverhalten festgestellt, so schliefen die Säuglinge mit dem Kopf meist viel Höher, entweder auf Höhe des Elternkopfes, teilweise sogar mit auf dem Kopfkissen. Zudem nehmen die Mütter weniger oft instinktiv die schützende Schlafposition um das Baby herum ein (9, 10). Auf etwaige weitere Unterschiede und auch die Ergebnisse, die aus dem veränderten Schlafverhalten resultieren, können in dem Paper von Helen Ball Bedsharing und cosleeping nachgelesen werden.


Die Studienlage ist bei (stillenden) Mutter- Kind- Dyaden deutlich: Das bedsharing ist - unter Einhaltung von Sicherheitsaspekten - so sicher, wie wenn das Kind im eigenen Bett im elterlichen Schlafzimmer schläft. UNICEF hat hierzu eine tolle Broschüre für Eltern und Fachpersonal veröffentlicht (11, 12, 13). Wenn du mit deinem Kind in einem Bett schlafen möchtest, gilt:


Nicht rauchen, kein Alkohol, keine Drogen. Das Sofa oder der Sessel ist kein sicherer Schlafort.


Statt strikter Verbote, die evtl. dazu führen können, dass Eltern und Kind unter nicht sicheren Bedingungen mit ihren Säuglingen zusammen schlafen, ist es viel zielführender, die Eltern umfassend und differenziert aufzuklären und die einzelnen Konstellationen individuell zu besprechen, damit das gemeinsame Schlafen so sicher wie möglich gestaltet werden kann.

 

Was hat der Schnuller nun damit zu tun?

Die Leitlinie empfiehlt zur Nacht die Gabe eines Schnullers. Die schützende Wirkung wird mit der Erweiterung der oberen Atemwege oder der geringen Schlaftiefe erklärt. Sowie gefährde eine frühe Einführung eines Schnullers auch nicht den Stillerfolg.


Hier nun ein zweites „uff“ meinerseits. Sowohl der eine als auch der andere Grund sind hinfällig, wenn das Kind gestillt wird. Und eine generalisierte Aussage zu treffen, dass der frühe Schnullereinsatz den Stillerfolg nicht bedrohe, finde ich gewagt.


Die hier angeführte Quelle: Die Übersichtsstudie Effect of restricted pacifier use in breastfeeding term infants for increasing duration of breastfeeding (14). Das Ziel dieser Studie war die Untersuchung von Auswirkungen einer eingeschränkten gegenüber einer uneingeschränkten Schnullerverwendung bei Neugeborenen und ihren stillenden Müttern auf die Stilldauer, andere Stillergebnisse, sowie die Gesundheit des Säuglings. Zwei Studien wurden hier überprüft und es wurde bei der Verwendung des Schnullers kein signifikanter Einfluss auf den Anteil der voll- bzw. teilgestillten Kindern festgestellt.

Die Übersichtsstudie sagt jedoch auch folgendes: es wurden in den untersuchten Studien keine Daten erhoben, die eine Aussage zu der Dauer des ausschließlichen bzw. des teilweisen Stillens, zu Stillschwierigkeiten (z.B. Mastitis) oder zu gesundheitlichen Auswirkungen beim Säugling, ermöglichen. Hieraus kann also nicht grundsätzlich geschlossen werden, dass der Schnuller keinen Einfluss auf den etwaigen Stillerfolg habe.


Die Studienlage zum Thema Schnuller ist hier grundsätzlich nicht ganz so eindeutig.


Allerdings lassen sich auch hier die Ergebnisse aus den verschiedenen Studien zum Thema Stillen und Bedsharing heranziehen: Es wurde festgestellt, dass körpernahes Schlafen einen positiven Effekt auf die grundlegendsten physiologischen Funktionen hat, wie z.B. die Atmung, Herzfrequenz, Schlafarchitektur, wie auch die Regulation der Körpertemperatur. Ebenso wurde beobachtet, dass Säuglinge in Nacht öfter Stillen, wenn sie bei der Mutter schlafen - welches wiederum die Stillraten- und -dauer erhöhen. Auch schlafen gestillte Babys weniger tief (15). Weshalb nächtliches Stillen einen ähnlichen Effekt haben wird, wie der Schnuller.

Gewichtskurve Symbolbild Saugverwirrung Stillberatung Bindungswerk

Aus meiner Beratungspraxis kann ich sagen, dass der frühe Einsatz des Schnullers durchaus Einfluss auf das Stillgeschehen nehmen kann. Die hier dargestellte Gewichtskurve zeigt die eines neugeborenen, männlichen Säuglings. Er bekam mit drei Wochen zur Nacht einen Schnuller. Die deutliche Abflachung der Gewichtszunahme ist deutlich zu erkennen. Als der Säugling nicht ganz zwei Monate alt war, kontaktierte mich die Mutter. Ihr wurde von Seiten des Kinderarztes geraten zuzufüttern - was sie nicht wollte.

Ich stellte dann eine Saugverwirrung beim Säugling fest und empfahl das ausschließliche Stillen bei ersten Stillzeichen und erklärte ihr das stillerhaltende Zufüttern, sollte der Säugling Hunger haben. Den genauen Zeitpunkt, wann der Schnuller weggelassen wurde, lässt sich der Gewichtskurve ziemlich eindrucksvoll entnehmen.


Auch hier sollte den Eltern differenziertere Informationen zugänglich gemacht werden, damit diese valide Entscheidungen treffen können.

 

An alle, die es bis hierher geschafft haben: Danke für das Lesen und toll, dass du dich informierst.


Hast du noch Fragen oder möchtest du eine Einschätzung deiner individuellen Situation haben, dann melde dich gerne bei mir.


Mareike





Quellen:

  1. https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/blog/neues-zum-ploetzlichen-kindstod-2023/ 28.02.2023

  2. https://publications.aap.org/pediatrics/article/151/1/e2022057771/190235/Risk-Factors-for-Suffocation-and-Unexplained?autologincheck=redirected 28.02.2023

  3. DGSM - Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Medizin DGKJ - Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin GNPI - Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin DGGG - Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe GEPS - Gemeinsame Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod e.V.

  4. https://register.awmf.org/assets/guidelines/063-002l_S1_Praevention-des-Ploetzlichen-Sauuglingstods_2022-12_01.pdf, 07.03.2023

  5. Prof. Helen Ball, Bed-sharing and co-sleeping, NCT 2009, https://www.academia.edu/22855841/Bed_sharing_and_co_sleeping, 02.03.2023

  6. https://www.familienhandbuch.de/babys-kinder/entwicklung/saeugling/pflege/SteinzeitbabysindermodernenWelt.php, 02.03.2023

  7. https://www.bfmed.org/assets/Protocol Number 6 2019 Revision.pdf, 07.03.2023

  8. https://www.stillen-institut.com/de/abm-protokoll-nr-6-aktualisiert-stillen-und-gemeinsames-schlafen.html, 07.03.2023

  9. siehe 5

  10. siehe 5

  11. https://www.greenbirth.de/images/pdf/info_schlafen_im_elternbett.pdf, 02.03.2023

  12. UNICEF Bröschüre http://breastfeedingmadesimple.com/wp-content/uploads/2016/02/sharingbedleaflet.pdf, 02.03.2023

  13. https://www.unicef.org.uk/babyfriendly/wp-content/uploads/sites/2/2016/07/Co-sleeping-and-SIDS-A-Guide-for-Health-Professionals.pdf, 02.03.2023

  14. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27572944/, 02.03.2023

  15. siehe 5


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