Wie dir das Wissen über die kindlichen Signale und Feinzeichen zu einem entspannteren Baby und Alltag verhelfen können.
"Feinzeichen? Was ist das bitte für ein pseudowissenschaftliches Geschwätz!?"- So und so ähnlich lauten viele Rückmeldungen auf meine Themenreihe bei Instagram. Warum das nichts mit Pseudowissenschaften zu tun hat und warum das Wissen darum ganz nützlich sein kann, erfährst du hier.
Der amerikanische Kinderarzt Dr. Berry Brazelton war ein Pionier auf dem Gebiet der Erforschung des Verhaltens Neugeborener und er hat viele Bücher über die kindliche Entwicklung und Erziehung geschrieben. Er war zwar nicht der erste der darüber berichtete, aber er spielte die zentrale Rolle bei der Veränderung der Wahrnehmung von Neugeborenen und ihren angeborenen Kompetenzen, die in den 70ern in ihren Kinderschuhen steckte. Zusammen mit Heidelise Als (eine aus Deutschland stammende Psychologin, sie zuletzt am Boston Childrens Hospital arbeitete) hat er die Feinzeichen der psychophysischen Verhaltenssysteme zusammengefasst. Insgesamt geht die Thematik noch sehr viel tiefer, was hier jetzt aber den Rahmen sprengen würde.
Was gibt es für Feinzeichen?
Feinzeichen sind angeborene, intuitive Verhaltensweisen, mit denen der Säugling auf Reize reagiert und die bei der Bindungsperson eine Reaktion auslösen. Die Feinzeichen werden unterteilt in Signale der Offenheit, Signale der Selbstregulation und Signale der Belastetheit. Mittels dieser Feinzeichen kann der Säugling, kompetent wie er schon ist, sein Befinden ausdrücken und Bedürfnisse anzeigen. Die Bindungsperson kann sie lesen lernen und die Bedürfnisse entsprechend erfüllen.
Hinweis: Die Auflistung der Zeichen ist nicht vollständig. Die genannten sind jedoch die, dich ich selbst am Häufigsten beobachte.
Feinzeichen der Offenheit: der Säugling fühlt sich wohl, ist entspannt und aufmerksam.
weiche, ausgeglichene Bewegungen des Säuglings
lächeln
brabbeln / lautieren
hinwenden zur Bindungsperson, aufmerksamen Blickkontakt herstellen
Feinzeichen der Selbstregulation: der Säugling ist angespannt oder gestresst und versucht, sich selbst zu beruhigen.
Hände und Füße in der Körpermitte zusammenlegen (sich selbst ins Gleichgewicht bringen, seine Mitte finden)
Grimassieren
an sich selbst oder der Kleidung festhalten
Hand auf den Bauch legen
Gähnen
Fäustchen machen
Hand oder Faust zum Ohr
Blick abwenden / Kopf weggdrehen.
Feinzeichen der Belastung: der Säugling ist überreizt oder überfordert und er braucht jetzt Ruhe.
schreien
Starrer / leerer Blick
Kopf senken
mit den Armen rudern
sich von der Bindungsperson wegdrücken
marmorierte Haut
spucken / würgen
Weingesicht
Niesen / Schluckauf
Hier gilt allgemein: je mehr Selbstregulations- oder Belastungszeichen erkennbar sind, desto größer ist die Belastung und umso mehr Co-Regulation braucht der Säugling von außen.
Wie sieht das nun in der Praxis aus?
Im aufmerksamen Zustand z.B. interagiert der Säugling mit seiner Bindungsperson. Wird ihm das zu anstrengend, wird er quengelig. Er versucht sich dann selbst zu regulieren. Entweder auf der motorischen Ebene, indem er z.B. mit den Armen rudert oder auf der physiologischen Ebene, z.B. durch eine schnelle und gepresste Atmung. Es kann auch sein, dass er sich den Reizen entzieht und sich von der Bindungsperson wegdreht. Gelingt dem Säugling die Selbstberuhigung nicht, beginnt er sehr wahrscheinlich zu weinen oder zeigt andere Belastungszeichen.
Warum ist das Wissen von den Feinzeichen hilfreich und wichtig?
Als Bindungsperson kannst du mit dem Wissen um die Feinzeichen feinfühlig auf das Verhalten deines Säuglings reagieren und das zugrunde liegende Bedürfnis erfüllen. Wenn du bspw. in der Interaktion mit deinem Baby bemerkst, dass es jetzt angespannt oder überreizt ist, kannst du ihm die benötigte Ruhe geben. Kann es z.B. noch nicht selbstständig die Arme und Beine zusammenführen (Frühgeborene Säuglinge haben damit häufiger Schwierigkeiten), kannst du ihm dabei auch helfen und seine Arme und Beine sanft führen.
Langfristig wird dein Baby ausgeglichener und zufriedener sein. Denn dein Baby lernt, dass seine Bedürfnisse nicht ignoriert, sondern ernst genommen werden und ihm geholfen wird. Auch du bekommst in der Interaktion positive Rückmeldungen von deinem Baby und es kann eure Beziehung stärken.
Darüberhinaus stärkt es die Eigenregulationsfähigkeiten deines Kindes nachhaltig.
Wichtig ist auch: bleibe Aufmerksam und beobachte die Situation. Nicht jedes kindliche Verhalten muss ein Signal dafür sein, dass der Säugling z.B. überfordert ist. Manchmal kribbelts auch einfach nur in der Nase, weshalb das Baby niesen muss oder es hat gerade entdeckt, dass es Hände hat und lutscht deswegen an seiner Faust.
Frühgeborene Säuglinge oder leicht irritable Babys sind in ihren Signalen häufig undifferenzierter und sie können daher etwas schwerer zu lesen sein. Auch besteht da oftmals grundsätzlich die Herausforderung, dass sich die Säuglinge nur schwer regulieren bzw. co-regulieren können. Das Wissen um die Feinzeichen allein ist in solchen Fällen nur bedingt ausreichend. Im Zweifel braucht es dann eher mal die Unterstützung von kompetenten Fachpersonen.
Quellen:
Brazelton, T.B. (1984). Neonatal Behavioral Assessment Scale. Philadelphia: Lipincott.
Brazelton, T.B. & Cramer, B.G. (1994). Die frühe Bindung: Die erste Beziehung zwischen dem Baby und seinen Eltern. Stuttgart: Klett Cotta.
Derksen, B. & Lohmann, S. (2009). Baby-Lesen. Die Signale des Säuglings sehen und verstehen. Stuttgart: Hippokrates.
Bilder 1-5: Canva
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