Ein Bericht, über das bindungsorientierte Abstillen meiner Tochter.
Unsere Stillreise ist nach ziemlich genau 1850 Tagen (ja, ich habs ausrechnen lassen 😉) geendet. Das Ende wurde definitiv von mir eingeleitet. Meine Tochter hätte wohl noch viel länger weitergestillt und sie hat mich deutlich spüren lassen, wie doof sie meine Entscheidung doch findet. Ich lade dich gerne auf unsere Abstillreise ein und teile meine Gefühle und Gedanken mit dir.
Vorab bitte ich dich beim Lesen darum, unsere Geschichte mit dem Respekt und der Wertschätzung zu behandeln, die ihr gebührt. Und vergiss bitte nicht, dass jede (Ab-) Stillreise individuell ist. Unser Weg muss nicht deiner sein. Danke schön.
Meine Tochter ist im Dezember 2017 geboren. Schon ihren größeren Bruder habe ich über drei Jahre gestillt und so war mir auch mit ihr irgendwie klar, dass unsere Stillreise länger dauern wird. Die Monate vergingen, meiner Tochter wurde älter und ich habe nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wann wir denn jetzt mal abstillen. Unsere Stillbeziehung war von Anfang an unkompliziert. Ich hatte nie größere Probleme und meine Tochter liebte die innigen Momente und die damit einhergehende Nähe und Kuschelzeit.
An ihrem dritten Geburtstag fragte ich mich erstmals, ob sich dieses Kind jemals von alleine abstillen wird oder ob ich die treibende Kraft sein werde. Sie stillte zu der Zeit tagsüber noch leidenschaftlich gerne, doch ich fühlte mich damit zunehmend unwohl. Also stillten wir tagsüber ab, bzw. ich initiierte es - was schon viel Kraft und Durchhaltevermögen erforderte, weil meine Tochter die Alternativen nur schwer akzeptierte. Um diese Erfahrung reicher, wollte ich ihr den Gedanken des gänzlichen Abstillens schon jetzt näher bringen. Fragte sie erstmal unverfänglich, wonach die Milch heute schmeckt, ob noch welche da ist und dann, irgendwann, erzählte ich ihr, dass unsere Stillzeit auch mal aufhören wird. Wir beide haben für die Milch und Stillzeit andere Begriffe, welche, die vor allem durch meine Tochter geprägt wurden und die ich hier nicht teilen möchte.
Meine Tochter sah mich nur mit großen Augen an, als wolle sie antworten „Ach wirklich?“. Mit der neuen Stillsituation (zum Einschlafen und Aufwachen, sowie ab und an in der Nacht) fühlte ich mich wieder deutlich wohler. Mir war das komplette Abstillen nicht wichtig genug und meine Tochter liebte das Stillen. So zogen weitere Monate an uns vorbei.
Bei mir jedoch kamen immer wieder Gedanken auf und sie gingen öfter in die eine Richtung: was wäre, wenn? Was wäre, wenn wir jetzt abstillen? Was wäre, wenn wir einen Schlusspunkt bestimmen und meine Tochter anders in den Schlaf begleitet wird? Als meine Tochter 3,5 Jahre alt war, lenkte ich das Gespräch wieder in die Richtung. Erzählte ihr erneut, dass unsere Stillzeit mal zu Ende geht. Einfach aus dem Grund, dass sie weiß, dass diese Zeit ein Ende haben wird. Doch für den finalen Schritt fehlte eines: meine Klarheit, meine Entschlossenheit. Die aktuelle Situation störte mich nicht, für meine Tochter war das Stillen noch sehr wichtig. DER Zeitpunkt war noch nicht gekommen, das spürte ich. Also stillten wir weiter.
In den Wochen danach, schlug ich vor, dass wir an ihrem vierten Geburtstag wieder drüber reden. Das taten wir auch und wir suchten uns einen Zeitpunkt aus. Doch je näher besagter Zeitpunkt rückte, desto unsicherer wurde ich. DER Zeitpunkt war es also auch nicht. Meine Tochter ist kognitiv wirklich fit und so fragte sie mich, wie lange wir denn noch stillen werden. Sie wollte - natürlich - noch nicht aufhören und mir mangelte es an Klarheit, also stillten wir weiter.
Doch im Sommer / Herbst änderte sich etwas. Ich kann nicht mal ausmachen, woran es lag oder woher das kam. Meine Tochter fixierte sich mehr und mehr auf meine Brust und die Milch. Sie fasste mir ungefragt in meine T-Shirts und forderte die Milch immer mehr ein. Je stärker ich hier meine Grenzen zog, desto mehr fühlte sie sich herausgefordert und umso spannender wurde das Stillen.
MEINE Grenze war erreicht. MEIN Zeitpunkt war da. Ich spürte ihn sehr deutlich. Genau so habe ich es meiner Tochter erzählt: Zum Stillen gehören ja zwei, die Mama und das Kind, und ich möchte nicht mehr stillen. Und ich sagte ihr immer wieder, dass ich sie unglaublich dolle lieb haben werde, auch wenn wir nicht mehr stillen. Dass ich sie für immer bis zum Planeten Eris (ein Zwergplanet und ziemlich weit entfernt von der Erde; noch weit hinter Pluto) und zurück lieben haben werde. Das akzeptierte sie irgendwie und wir vereinbarten einen Zeitpunkt.
Bevor der Zeitpunkt kam, bastelten wir zusammen einen Abstreichkalender und ich fragte sie, ob sie sich etwas zur Erinnerung wünscht. Das tat sie und ich kam ihrem Wunsch gerne nach.
An einem Sonntagmorgen stillten wir ein letztes Mal. Meine Tochter war längst fünf Jahre geworden und zuerst so verschlafen wie immer. Doch dann rief ihr Bruder nach ihr und sie wollte spielen gehen. Ich erinnerte sie daran, dass wir der Milch jetzt „Tschüß“ sagen und es das letzte mal gewesen ist. Sie sagte „Tschüß Milch“ und verschwand. Irgendwann erinnerte sie sich an ihr „Abschiedsgeschenk“ und ich gab es ihr. Sie freute sich sehr darüber und hat es den ganzen Vormittag kaum aus der Hand gelegt.
Der erste Abend ohne Einschlafstillen kam und damit bei ihr auch das Verständnis, dass es jetzt wirklich keine Milch mehr gibt - und jetzt, nachdem sie es wirklich verinnerlicht hatte, hat setzten zuerst Trauer und dann Wut ein.
Ich habe erwartet, dass das Abstillen nicht ganz protestlos erfolgen wird. Doch mit dem Ausmaß ihrer Gefühle habe ich nicht gerechnet. Sie war wütend. So sehr wütend. Und traurig. Und alles durfte sein. Die ersten Abende waren für uns als Familie echt hart. Ihr weinen, schreien und wüten. Die ersten Abende waren laut und wild. Lange nach ihrer normalen Schlafzeit ist sie eingeschlafen. Leise schluchzend in meinen Armen.
Ich habe das große Glück eine Freundin an meiner Seite zu haben, die emphatisch und zufälligerweise auch Psychotherapeutin ist. Sie hat mich wirklich toll unterstützt und mir Rat gegeben. Mir versichert, dass ihre Wut und Trauer etwas gutes und gesundes sind und ein Zeichen der Abgrenzung und Abnabelung. Denn ich habe nach diesen krassen Gefühlsstürmen an allem gezweifelt und war mir unsicher mit der Entscheidung. Denn ich hatte das Gefühl, ich würde meiner Tochter die geliebte Brust wegnehmen. Nachdem meine Freundin mir Empathie und Sicherheit geben konnte, konnte ich die Gefühle meiner Tochter viel besser annehmen und begleiten. Und dieser Tag fühlte sich für mich wie eine Wende an. Meine Tochter begann zu akzeptieren. Sie war auf einmal bereit für Alternativen. So darf sie Abends im Bett die Brust streicheln und kuscheln. Die ersten vier Tage bzw. Abende waren für uns alle kräftezehrend und nun kehrte Ruhe ein.
Unser letzter Stillmoment ist jetzt etwa vier Wochen her. Wir haben neue Wege voller Verbindung, Nähe und Geborgenheit gefunden.
Mir geht es mit der Entscheidung und dem Ablauf heute gut. Ich bin jemand, der viel reflektiert und so denke ich trotzdem viel darüber nach, ob ich es ihr z.B. mit mehr Führung einfacher gemacht hätte. Doch ich versuche mich davon abzugrenzen, es ändert ja nichts mehr an der Situation.
Es geht doch im Kern darum, dass wir es gemeinsam und in Verbindung geschafft haben. Die Gefühle meiner Tochter durften sein und sie war zu keinem Zeitpunkt alleine. Und auch ich hab mir Begleitung gesucht und meine Gefühle durften sein.
Falls jetzt Fragen aufkommen: mein Mann hat mich natürlich unterstützt. Doch die sehr starken Gefühle unserer Tochter triggern ihn teilweise deutlich, daher haben wir uns aufgeteilt. Er hat in der Zeit ganz wunderbar unseren großen, feinfühligen Sohn begleitet.
Nun ist zwar unsere Stillzeit vorbei. Doch unsere Beziehung ist es nicht. Und darauf kommt es doch eigentlich an… in Verbindung und Beziehung zu bleiben. Ein Abstillen darf bindungsorientiert und nah sein.
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